Wenn Worte Spuren hinterlassen - psychische Verletzungen in der Krebsbehandlung
Shownotes
Das Vertrauen von Frau J. in Ärztinnen und Ärzte war lange erschüttert. Ihr Mann hatte einen fortgeschrittenen Bauchspeicheldrüsen-Tumor. Er lehnte eine Chemotherapie im Krankenhaus ab. Der Arzt sagte, dann können sie nichts für ihn tun. «Wir wurden einfach fallengelassen.» Medikamentenfehler werden erfasst, vermeidbare psychische Verletzungen jedoch nicht. Und gelten dadurch als nicht existent. David Schwappach will diesen Teufelskreis mit seinem Forschungsprojekt über psychische Verletzungen in der Krebsbehandlung sichtbar machen und durchbrechen. Er ist Professor für Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern. Er sagt: «Die Betroffenen verlieren das Vertrauen ins Gesundheitssystem, ziehen sich zurück, sind enttäuscht und wütend.» Sein Forschungsprojekt läuft bis 2027. Betroffene und Angehörige können sich melden: psych-harm.ispm@unibe.ch. Nur drei Monate nach der Diagnose starb der Mann von Frau J. in einem Hospiz. Dort fühlten sie sich gut betreut.
Hilfreiches Wissen in dieser Episode zu:
- Krebs
- Krebsforschung
- Kommunikation
- Vertrauen
- Patientensicherheit
- Medizinethik
- Psychische Verletzungen
- Emotionale Belastung
- Gesundheitssystem
Mehr zum Podcast «Wissen gegen Krebs»
Hinter jeder Erkrankung steckt eine ganz persönliche, bewegende Geschichte, hinter jedem Forschungsprojekt ein engagierter Mensch, der ein klares Ziel verfolgt. Die Podcast-Serie «Wissen gegen Krebs» bringt diese beiden Pole zusammen: Eine Person mit Krebsdiagnose und ein Vis-à-vis in der Forschung, das alles daransetzt, dass Heilung nach einem Krebsbefall zur Regel wird.
Die Podcast-Serie sendet direkt aus dem trauten Heim, dem Spital, dem Labor oder dem Behandlungszimmer und gibt Einblick in die von der Stiftung Krebsforschung Schweiz unterstützten Projekte.
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Transkript anzeigen
00:00:02: Ein Podcast der Krebsforschung Schweiz.
00:00:14: Eigentlich erwartet man von der Medizin und dem Gesundheitssystem, dass sie kranken Menschen gut tun.
00:00:21: Aber Fehler zu machen ist menschlich.
00:00:23: Darum kommt es immer wieder vor, dass im Laufe einer medizinischen Behandlung etwas passiert, das sich negativ auswirkt.
00:00:32: Frau J. hat mehrere solche Zwischenfälle erlebt.
00:00:36: Sie hatte ihren Partner, der Bauchspeicheldrüsenkrebs hatte, bis zuletzt begleitet.
00:00:41: Besonders gut erinnert sie sich an eine Situation im Spital, in der sie mit ihrem Partner an einem Arzttermin war.
00:00:50: Dann kam ein Arzt und seine Assistenzärztin.
00:00:54: Er sagte, sie würden ihm raten, diese und diese Chemo und so.
00:00:59: Dann hat mein Partner gesagt: Nein, eigentlich nicht!
00:01:02: Dann hat ihm der Arzt dann irgendwann gesagt: Okay gut, wenn sie keine Chemo wollen, dann können wir nichts für Sie tun.
00:01:09: Bei Frau J. hat das und weitere Erlebnisse, von denen wir gleich noch hören, Spuren hinterlassen.
00:01:16: Ihr Vertrauen in die Spitäler wurde für eine Zeit lang erschüttert.
00:01:22: Um solche psychischen Verletzungen geht es in dieser Folge von Wissen gegen Krebs, dem Podcast der Stiftung Krebsforschung Schweiz.
00:01:31: Ich bin Rebekka Haefeli.
00:01:37: Unter Behandlungsfehlern versteht man in der Regel Dinge wie falsche Medikamentendosierungen oder Infektionen, die sich hätten vermeiden lassen.
00:01:46: Bis jetzt ist noch selten die Rede von vermeidbaren psychischen Verletzungen, die aber ebenfalls vorkommen.
00:01:53: Weil es wenig Bewusstsein dafür gibt, werden solche Zwischenfälle natürlich auch nicht dokumentiert und erfasst.
00:02:02: Und weil sie nicht dokumentiert und nicht erfasst werden, sind sie nicht existent.
00:02:06: Also, wir sind da wie in so einem Teufelskreis.
00:02:09: Das ist David Schwappach.
00:02:11: Er ist Professor für Patientensicherheit am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern.
00:02:20: Er will den Teufelskreis durchbrechen und hat ein Forschungsprojekt initiiert, bei dem es um psychische Verletzungen in der Krebsbehandlung geht.
00:02:28: Das Projekt wird von der Stiftung Krebsforschung Schweiz unterstützt.
00:02:34: Und David Schwappach sagt gerade, wie es ist. Das zu untersuchen, ist eine ziemliche Knacknuss.
00:02:40: Das Phänomen mit dem wir uns beschäftigen, das ist eben einerseits nicht existent. Aber, wenn man mit Patienten spricht, wissen die genau sofort, um was es geht.
00:02:50: Und können ganz viel erzählen, was sie erlebt haben.
00:02:53: Und das ist eigentlich auch ganz spannend, muss ich sagen.
00:02:56: Auf dem Papier existiert das Problem kaum, weil es nicht messbar und nicht leicht nachvollziehbar ist.
00:03:03: So wie ein Medikamentenfehler, den man in der Dokumentation anschauen kann.
00:03:08: Aber die Folgen, die sind eindeutig da, sagt David Schwappach.
00:03:13: Ganz grundsätzlich zeigt sich das häufig darin, dass die Personen kein Vertrauen mehr ins Gesundheitssystem haben, sich zurückziehen, zum Beispiel keine Informationen mehr teilen, Enttäuschung, Wut, also starke Emotionen eben.
00:03:30: Frau J, die wir am Anfang schon kurz gehört haben, war also als Angehörige bei diesen Gesprächen mit Ärztinnen und Ärzten
00:03:37: im Spital dabei.
00:03:39: Ihr damaliger Partner wurde Ende 2019 mit der Diagnose
00:03:45: Bauchspeicheldrüsenkrebs konfrontiert.
00:03:47: 63
00:03:47: war er
00:03:47: damals.
00:03:49: Er hat in der Gastrobranche gearbeitet und sei bis dahin sportlich und aktiv gewesen, erzählt Frau J.
00:03:57: Dann haben sie weiter getestet und sie sahen, dass er schon Metastasen auf der Leber hatte.
00:04:03: Und dann haben sie gesagt, ja, was wollen Sie?
00:04:06: Sie mussten ihn halt heim lassen.
00:04:08: Mit dem Bericht halt hinschicken und zum Hausarzt.
00:04:13: Gerade Anfang Jahr, also Anfang 2020, hatte er den Termin mit dem Hausarzt.
00:04:19: Ja, er hat die Unterlagen angeschaut und hat gar nicht gewusst, wo er anfangen soll, weil er ihm eigentlich sagen musste, dass er einen aggressiven, fortgeschrittenen Pankreas-Tumor hat.
00:04:34: Und, dass das Einzige, was er ihm eigentlich hätte anraten können, sei, seine Sachen zu erledigen.
00:04:42: Seinen Papierkram, weil es nicht so bombig aussähe.
00:04:47: Nicht nur den Papierkram hat der Partner von Frau J. geordnet.
00:04:51: Sie haben auch noch geheiratet.
00:04:53: Dann wurde er in ein grosses Spital überwiesen.
00:04:56: Und was sie dort erlebt haben, hat Frau J. in ganz schlechter Erinnerung.
00:05:01: Wir kamen in einen Raum für die, die schon auf die Chemo warteten.
00:05:06: Und wenn man die Leute dann sieht... Und dann sagte mein Partner schon, dass er so nicht enden werde.
00:05:14: Und ja, dann sind wir dann reingegangen.
00:05:19: Und dann kam ein Arzt und seine Assistenzärztin.
00:05:23: Er sagte, dass er seine Unterlagen durchgelesen hätten.
00:05:28: Er würde ihm anraten, diese und diese Chemo zu machen.
00:05:31: Dann sagte mein Partner aber: Nein, eigentlich nicht.
00:05:37: Er will das eigentlich anders versuchen zu regeln.
00:05:42: Ihr Mann hatte vor, alternative Naturheilmethoden gegen seine Erkrankung einzusetzen.
00:05:48: Und dann hat der Arzt dann irgendwann gesagt: Okay, gut, wenn sie kein Chemo wollen, dann können wir nichts für Sie tun.
00:05:57: Und dann wollte er eigentlich rausgehen, der Arzt.
00:06:00: Und dann habe ich gesagt: Ja, aber was mache ich dann, wenn es nicht mehr so gut läuft wie jetzt?
00:06:06: Und dann fand er, mein Partner wolle ja da nicht mitmachen, also könne er uns ja auch nicht weiterhelfen.
00:06:13: Es kam ihr vor wie eine heisse Kartoffel, die man fallen lässt, sagt Frau J.
00:06:18: Sie habe etwas Anderes von diesem Arzt erwartet.
00:06:21: Ja, dass er sich einmal anhört, was er sich denn überhaupt vorstelle. Damit er ihn auf seiner Ebene abholen kann und ihm sagen kann: Okay, schauen Sie... Ich weiss auch nicht.
00:06:34: Ich habe zwar auf dem Gebiet der Naturheilmedizin keine Erfahrungen. Wenn Sie das für sich bestimmen, dann ist das Ihr Recht.
00:06:46: Aber trotzdem, dass er ihm einfach gesagt hätte, wo wir uns hinwenden könnten. Dass man wieder einen doppelten Boden gehabt hätte.
00:06:56: Ihr Mann hatte dann im Laufe der Zeit zwei Schlaganfälle.
00:07:00: Nach dem zweiten war er etwas länger im Spital.
00:07:04: Im gleichen Zimmer mit ihm, erzählt Frau J., war ein zweiter Mann, der im Sterben lag.
00:07:11: Seine Frau und seine Tochter waren dort. Und es hat ja nur so ein Plastikvorhang, der die zwei Betten trennt.
00:07:19: So, wie sie das besprochen haben, war klar, dass er nicht will, dass er seinen Körper für eine Autopsie, für medizinische Zwecke
00:07:31: freigibt.
00:07:32: Und dann seien drei Ärzte ins Zimmer gekommen.
00:07:35: Die haben die Frau mit der Tochter wortwörtlich überredet, dass sein verstorbener Körper dann für medizinische Zwecke einer Autopsie unterzogen werden dürfe.
00:07:50: Ich dachte, ich sei im falschen Film.
00:07:52: Also, so etwas, finde ich,
00:07:55: geht gar nicht.
00:07:57: Also, nein, das darf man einfach nicht machen!
00:08:01: Ich würde nur in ein Spital, wenn ich keine andere Möglichkeit mehr hätte, weil ich kein Vertrauen hätte.
00:08:08: Das hat es ganz klar verstärkt.
00:08:10: Ihr Mann hat die letzte Lebenszeit dann in einem Hospiz verbracht.
00:08:19: Das Forschungsprojekt des Teams rund um David Schwappach von der Universität Bern dauert bis 2027.
00:08:41: Da geht es einerseits darum, dass Sie Ihre Erlebnisse und Erfahrungen einbringen.
00:08:46: Was haben Sie erlebt?
00:08:47: Und andererseits auch nochmal Feedback geben. Zum Beispiel sagen, wie schlimm Sie das finden.
00:08:54: Es geht auch ein bisschen darum, so eine Art Skala zu entwickeln.
00:08:59: Das ist das Schlimmste, das ist weniger schlimm, um so eine Idee davon zu bekommen, was wären z.B.
00:09:06: Prioritäten, wenn man etwas verändern wollte.
00:09:09: Die Adresse, bei der man sich melden kann, wenn man bei der Studie dabei sein will, findet man in der Folgenbeschreibung zu diesem Podcast.
00:09:17: Und David Schwappach sagt, dass es bei dieser Forschung nicht darum gehe, individuelle Fehler anzukreiden.
00:09:24: Es gehe viel mehr darum, Fehler im System zu identifizieren.
00:09:29: Es gibt eben auch viel, was in den Organisationen nicht gut läuft, wo dann wirklich auch die Ärztinnen und Ärzte, die Pflegefachpersonen in einem System arbeiten, wo sie selber merken, dass es jetzt nicht gut ist
00:09:44: für die Patientinnen, für die Angehörigen.
00:09:46: Aber sie haben gar keine Handlungsgewalt darüber, wie gewisse Abläufe sind zum Beispiel.
00:09:53: Mit dem Forschungsprojekt möchte man langfristig die Situation der Patientinnen und Patienten verbessern.
00:10:00: Es geht darum, Möglichkeiten zu finden, wie man emotionale Belastungen, zum Beispiel durch schlechte Kommunikation, vermeiden kann.
00:10:09: Weil das bei einer Krebsdiagnose viel Vertrauen zerstören kann.
00:10:14: Wenn man nicht schwer krank ist, dann hat man häufig ja auch mehr Ressourcen, das wegzustecken, sag ich mal. Oder eben wirklich zum Beispiel sich einen anderen Hausarzt, eine andere Hausärztin zu suchen.
00:10:26: Das macht man dann. Aber häufig haben ja Patientinnen oder Patienten mit Krebserkrankungen auch das Gefühl, sie sind jetzt an einem Ort, da kann man ihnen helfen.
00:10:35: Also die Hürde, wegzugehen, ist natürlich sehr hoch für viele Personen.
00:10:42: Frau J. und ihr Mann haben eine Berg- und Talfahrt durchgemacht, bis sie sich zuletzt im Hospiz richtig gut aufgehoben fühlten.
00:10:51: Dort hat sie sich auch als Frau von einem unheilbar kranken Patienten ernst genommen gefühlt.
00:10:58: Die zuständige Ärztin habe transparent kommuniziert und auf eine gute Art auch die bittere Wahrheit gesagt.
00:11:06: Als ich ihr gesagt habe, ich weiss noch, wie ich ihr sagte: Bis nächste Woche!
00:11:12: Dann konnte sie mir sagen: Freuen Sie sich nicht zu früh. Ich glaube nicht, dass wir uns nächste Woche
00:11:24: nochmals sehen werden. Der Mann von Frau J. ist im März 2020 gestorben, nur rund 3 Monate nach der Diagnose. Sie hat sich gefangen und kann heute gut über diese Zeit damals reden. Auch deshalb, weil sie dazu beitragen möchte, dass andere in Zukunft bessere Erfahrungen machen...
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