Behandlung von Kinderkrebs – die optimale Dosierung
Shownotes
«Einen Tag vor ihrem 3. Geburtstag erhielten wir die Diagnose Leukämie», erzählt Maries Mutter. «Wir haben nur noch geweint.» Die gute Nachricht: Kinder haben deutlich bessere Heilungschancen als Erwachsene. Aber jedes Kind, das stirbt, ist eines zu viel. Deshalb braucht es Forschung. Da vor allem an Erwachsenen geforscht wird, ist die Behandlung von Kinderkrebs schwierig. «Wir wissen bei vielen Medikamenten noch nicht genau, wie sie bei jedem einzelnen Kind am besten wirken», erklärt Tamara Diesch, leitende Ärztin der Hämatologie/Onkologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel. Zusammen mit der Pharmakologin Verena Gotta erforscht sie nach einer Stammzelltransplantation die optimale Dosierung eines Medikaments. Wie es Marie heute geht, erfahren Sie in dieser Podcast-Folge.
Hilfreiches Wissen in dieser Episode zu
- Krebs
- Krebsforschung
- Kinderkrebs
- Leukämie
- Medikamentendosierung
- CAR-T-Therapie
- Stammzelltransplantation
- Off-Label
- Letermovir
Mehr zum Podcast «Wissen gegen Krebs»
Hinter jeder Erkrankung steckt eine ganz persönliche, bewegende Geschichte, hinter jedem Forschungsprojekt ein engagierter Mensch, der ein klares Ziel verfolgt. Die Podcast-Serie «Wissen gegen Krebs» bringt diese beiden Pole zusammen: Eine Person mit Krebsdiagnose und ein Vis-à-vis in der Forschung, das alles daransetzt, dass Heilung nach einem Krebsbefall zur Regel wird.
Die Podcast-Serie sendet direkt aus dem trauten Heim, dem Spital, dem Labor oder dem Behandlungszimmer und gibt Einblick in die von der Stiftung Krebsforschung Schweiz unterstützten Projekte.
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Transkript anzeigen
00:00:00: * Sanfte Musik *
00:00:02: Ein Podcast der Krebsforschung Schweiz.
00:00:05: * Sanfte Musik *
00:00:08: Eine Krebsdiagnose ist immer ein Schock.
00:00:17: Erst recht, wenn ein Kind an Krebs erkrankt.
00:00:21: Die Mutter von Marie erzählt.
00:00:23: Die Diagnose kam gerade einen Tag bevor sie drei wurde.
00:00:28: Sie war einfach schwach daheim, aber ich hätte nie an Krebs gedacht.
00:00:32: Wir haben nur noch geweint.
00:00:35: Bei Marie wurde Leukämie diagnostiziert.
00:00:39: Heute ist sie sieben und es geht ihr gut.
00:00:42: Aber ihre Mutter Salome S. und die ganze Familie
00:00:46: gingen durch eine unglaublich schwierige Zeit.
00:00:49: Sie hat noch zwei Brüder.
00:00:51: Das war für sie sehr schwierig.
00:00:55: Vor allem wussten sie nie, ob ich im Spital bleibe
00:00:59: oder, ob ich heimgehen kann, oder, ob es Marie gut geht
00:01:04: oder, ob es wieder schlimmer ist.
00:01:06: Sie haben diese Ängste immer noch.
00:01:09: Jetzt nicht mehr so fest, aber sie haben sie immer noch.
00:01:12: Leukämie ist eine seltene Diagnose bei Kindern.
00:01:18: Die Behandlung von Kinderkrebs ist eine grosse Herausforderung,
00:01:22: weil vor allem bei Erwachsenen geforscht wird.
00:01:25: Bei vielen Medikamenten weiss man noch nicht genau,
00:01:28: wie sie bei jedem einzelnen Kind optimal eingesetzt werden müssten.
00:01:32: Die Forschung zu Medikamenten bei Kinderkrebs
00:01:36: ist das Thema dieser Folge von "Wissen gegen Krebs".
00:01:39: Der Podcast der Stiftung Krebsforschung Schweiz.
00:01:43: Ich bin Rebekka Haefeli.
00:01:47: Marie wurde am Universitätskinderspital
00:01:50: beider Basel behandelt.
00:01:52: Salome S., Mutter der kleinen Marie,
00:01:55: ist im Unispital schon fast eine alte Bekante.
00:01:58: Viele Tage und Wochen hat sie mit Marie hier verbracht.
00:02:03: Tamara Diesch ist leitende Ärztin der Abteilung Hämatologie/Onkologie.
00:02:11: Sie ist auf sogenannte Blutkrebserkrankungen spezialisiert
00:02:15: und hat auch Marie behandelt.
00:02:17: Tamara Diesch erklärt, Krebs bei Kindern sei grundsätzlich selten.
00:02:22: In der Schweiz haben wir die Daten jedes Jahr vom Kinderkrebsregister.
00:02:27: Wir haben etwa 300, 350 Kinder, die eine Neudiagnose haben,
00:02:32: von Krebs. Und da sprechen wir von Kindern bis zum Alter von 16 Jahren.
00:02:37: Die häufigste Erkrankung,
00:02:40: die typischerweise im Vorschulalter vorkommt,
00:02:44: sind Leukämien, also Blutkrebs.
00:02:47: Dann haben wir Lymphome, Drüsenkrebs.
00:02:50: Und an dritter Stelle haben wir sogenannte Hirntumore.
00:02:54: Die gute Nachricht ist,
00:02:56: die Heilungschance von Kindern ist deutlich besser als bei Erwachsenen.
00:03:00: Sie liegt über alle Krebsarten gesehen bei etwa 80 bis 85 Prozent.
00:03:04: Aber jedes Kind, das stirbt, ist eines zu viel.
00:03:08: Darum braucht es Forschung.
00:03:12: * Sanfte Musik *
00:03:14: Die Onkologin Tamara Diesch arbeitet aktuell an einem Projekt,
00:03:20: das von der Stiftung Krebsforschung Schweiz unterstützt wird.
00:03:24: Projektkoordinatorin ist ihre Kollegin Verena Gotta,
00:03:28: ebenfalls vom Unikinderspital in Basel.
00:03:31: Verena Gotta ist Pharmakologin.
00:03:34: Sie beschäftigen sich also, einfach gesagt, mit der Wirkung von Medikamenten.
00:03:38: Die zwei arbeiten im Alltag, vor allem bei komplexen Fällen,
00:03:43: eng zusammen, wie Tamara Diesch erzählt.
00:03:46: Durchschnittlich haben Patienten bei uns etwa 5 bis 7 oder 8 Medikamente.
00:03:50: Da brauchen wir einfach die Unterstützung der Pharmakologie.
00:03:55: Das heisst, wenn wir verschiedene Medikamente applizieren,
00:03:59: aber nicht wissen, welche Wechselwirkung. Muss man zum Beispiel eine Dosis anpassen,
00:04:05: z.B. eine Dosis-Anpassung machen, indem man es reduzieren muss oder erhöhen.
00:04:10: Dann müssen wir sie hinzuziehen,
00:04:12: sodass der Patient möglichst wenig Nebenwirkung hat
00:04:17: von den Dosen, die er erhält.
00:04:19: Auch Verena Gotta sagt, die Zusammenarbeit sei sehr wichtig,
00:04:23: weil man eine Medikamentendosierung für Erwachsene
00:04:27: nicht einfach auf das Gewicht eines Kindes herunterbrechen könne.
00:04:31: Der Stoffwechsel von Kinder sei ganz anders.
00:04:34: Die Organe, die für die Verstoffwechslung und die Ausscheidung von Medikamenten verantwortlich sind,
00:04:38: sind sehr effizient, also das ist die Leber und die Niere vor allem.
00:04:42: Gerade bei Kindern unter 12 Jahren wissen wir,
00:04:45: dass sie die Medikamente viel schneller als Erwachsene verstoffwechseln.
00:04:49: Das hat zur Folge, dass man häufig höhere Dosen pro Kilogramm Körpergewicht braucht,
00:04:54: um die gleiche Wirkung zu erlangen.
00:04:57: Noch mal anders ist es bei den Allerkleinsten.
00:05:00: Die allerschwierigste Gruppe ist die der Neugeborenen.
00:05:04: Die haben oft noch eine unreife Nierenfunktion, unreife Leberfunktion.
00:05:08: Dort müssen wir mit Medikamenten ganz vorsichtig sein.
00:05:11: Wichtig sind deshalb präzise Analysen.
00:05:14: Bei manchen Medikamenten können wir die Konzentration im Blut messen,
00:05:18: damit wir möglichst eine individuelle optimale Dosierung finden.
00:05:22: Es ist nicht die Dosis, die wir geben, sondern das, was im Körper ankommt.
00:05:26: Die Konzentration im Blut, im Körper, die die Wirkung macht.
00:05:30: Die Konzentration eines Wirkstoffes im Blut messen,
00:05:34: das ist bei Kindern gar nicht immer ganz einfach,
00:05:37: weil man sie so wenig wie möglich stechen und mit Blut Abnehmen plagen will.
00:05:42: Auf der anderen Seite sind diese Analysen wichtig,
00:05:45: weil Medikamente von Kind zu Kind unterschiedlich wirken.
00:05:49: Und vor allem anders als bei Erwachsene.
00:05:53: Für Kinder wissen wir überhaupt nicht, was sind denn da überhaupt Normalwerte.
00:05:57: Wie verändert sich denn dieser Stoff im Blut und gibt der Aufschluss,
00:06:01: wie das Arzneimittel verstoffwechselt wird und wie es mit anderen Arzneimitteln wechselwirkt.
00:06:06: Von daher auch diese sogenannten Biomarker, also diese Produkte im Blut,
00:06:11: die wir messen können. Die verhalten sich oft bei Kindern ganz anders als
00:06:15: bei Erwachsenen. Da brauchen wir kindsgerechte Normwerte.
00:06:18: Wir brauchen kindsgerechte Informationen, wie sie sich verändern und wie wir sie interpretieren können.
00:06:22: Nur dann kann man Medikamente präzise einsetzen.
00:06:25: So, dass die Wirkung gross ist, aber die Nebenwirkungen möglichst gering bleiben.
00:06:31: Konkret untersuchen
00:06:34: Tamara Diesch und Verena Gotta in ihrem Projekt jetzt die optimal Dosierung
00:06:40: von einem bestimmten Medikament.
00:06:42: Das Medikament heisst Letermovir und wird Kindern und auch Erwachsene nach einer Stammzelltransplantation
00:06:50: verabreicht.
00:06:51: Es wirkt gegen ein gefährliches Virus.
00:06:54: Auch Marie, Tochter von Salome S., hat Letermovir bekommen.
00:07:00: Marie hatte zwei Stammzelltransplantationen. Als sie die erste Stammzelltransplantation
00:07:06: hatte, haben wir Letermovir noch nicht appliziert. Aber beim zweiten Mal hat sie es bekommen.
00:07:12: Und es ist bei ihr nicht ausgebrochen. Da sind wir sehr froh.
00:07:16: Wenn man es nicht behandeln würde, dann gibt es die sogenannte Zytomegalievirus-Krankheit.
00:07:23: Das kann eine Lungenentzündung sein.
00:07:26: Die Zytomegalievirus-Erkrankung kann sich sehr unterschiedlich manifestieren.
00:07:31: Das wiederum hat dann auf die Gesamtüberlebensrate einen Impact.
00:07:36: Das Medikament ist bis jetzt bei Erwachsenen zugelassen und wird bei Kindern Off-Label eingesetzt.
00:07:42: Das heisst auf individuelle Verordnung durch den Arzt oder die Ärztin.
00:07:46: Im Vergleich zu Erwachsenen gibt es für Kinder bis jetzt noch wenig Informationen zur optimalen
00:07:52: Dosierung und Wirksamkeit von Letermovir.
00:07:55: Das will das Forschungsprojekt ändern.
00:07:58: Das Ziel unserer Studie ist, dass man möglichst alltagstreu Daten erfasst.
00:08:05: Nur so können wir eine Schlussfolgerung daraus ziehen und sagen, wo müssen wir ansetzen? Wie können wir
00:08:14: den einzelnen Patienten das Optimum geben? Was müssen wir im Blut messen, um zu wissen,
00:08:20: sind wir im therapeutischen Bereich oder nicht.
00:08:23: Maries Leukämie wurde im Sommer 2020 diagnostiziert.
00:08:33: Im Dezember 2020 hatte sie die erste Stammzeltransplantation.
00:08:39: Ärztin Tamara Diesch sagt, die erste Stammzelltransplantation habe eine gewisse Zeit gewirkt.
00:08:47: Nur leider war die Grunderkrankung stärker, die Tumorzellen waren stärker und konnten sich
00:08:53: wieder durchsetzen.
00:08:54: Also sagte man dann, man mache eine CAR-T-Therapie.
00:08:59: Eine CAR-T-Therapie ist eine Immuntherapie.
00:09:02: Die CAR-T-Therapie damals, als sie erstmals in den Zeitungen oder in den Journals war, hat einem das Gefühl
00:09:10: gegeben, dass ist jetzt die Methode, um alle Patienten mit einer Leukämie zu heilen. Neuere Daten
00:09:18: haben gezeigt, dass nach 18 Monaten noch 55 Prozent der Patienten effektiv in Remission ist.
00:09:24: Also das heisst, keinen Rückfall haben.
00:09:26: Auch bei Marie musste man einen Rückfall befürchten.
00:09:30: Bei Marie war es so, dass sie noch keine Symptome hatte.
00:09:35: Aber im Blut kann man molekulargenetisch, also ganz kleine Konzentrationen, mit spezifischen
00:09:44: Techniken bereits Leukämie-Zellen nachweisen.
00:09:47: Wenn sie das schon nur im ganz kleinen Nanobereich nachweisen können, dann gehen sie noch einmal
00:09:55: in die Stammzellen.
00:09:56: Marie hat also noch eine zweite Stammzelltransplantation bekommen.
00:10:00: Bis jetzt ist diese Behandlung bei Marie erfolgreich.
00:10:04: Aber die verschiedenen Therapien sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen.
00:10:09: Jedes Mal musste sie auch eine Chemotherapie haben. Das gehört zum Prozedere dazu.
00:10:15: Maries Mutter, Salome S., hat das als sehr schlimm in Erinnerung.
00:10:21: Bevor Marie krank war, wusste ich, dass solche Leute Chemo machen, wenn sie Krebs haben.
00:10:27: Aber Leute, die ich kannte, hatten einfach zwei, drei Wochen Chemo. Ein paar Chemo und dann
00:10:34: fertig.
00:10:35: Marie hatte wochenlang, monatelang Chemo und wirklich lange und viel.
00:10:40: Und die Nebenwirkungen waren ganz, ganz heftig.
00:10:45: Sie ist nicht mehr gelaufen.
00:10:47: Sie hatte noch andere Medis, Steroide oder Cortison, und sie ist so aufgedunsen.
00:10:53: Marie war so grau, sie riecht nicht mehr gleich wie vorher.
00:10:58: Das ist nicht mehr unser Kind, das ist nicht mehr das gleiche Kind.
00:11:01: Das ändert den Körper wahnsinnig.
00:11:03: Sie hat überall Schmerzen, viel Durchfall, Erbrechen.
00:11:08: Marie, die heute sieben ist und jetzt die erste Klasse besucht, geht es heute gut.
00:11:13: Ihre Mutter, Salome S., ist sich aber bewusst, dass die Krankheit Marie begleiten wird.
00:11:20: Sorge machen ihr mögliche Spätfolgen der Therapie.
00:11:24: Wir kommen immer noch ins Spital und Marie ist noch nicht wie vorher.
00:11:29: Es gibt Nebenwirkungen, die noch bleiben. Ich hoffe, nicht ein Leben lang,
00:11:34: aber die sind da.
00:11:36: Als Eltern möchten wir immer, dass das Kind heilt. Aber das Kind möchte nicht nur heilen,
00:11:42: sondern wieder wie die anderen sein.
00:11:44: Und es geht vielleicht noch länger als nur heilen.
00:11:48: Das Kind möchte so schnell springen wie die anderen,
00:11:52: es möchte ein gutes Gedächtnis haben wie die anderen.
00:11:55: Das Kind möchte, wenn es grösser ist, auch wieder Kind haben.
00:11:59: Es gibt Kinder, die nachher noch Probleme haben mit dem Herzen, mit der Leber, mit den Nieren.
00:12:04: Das haben wir jetzt nicht, das hoffen wir nie zu haben.
00:12:07: Es sind solche Sachen, von denen wir möchten, dass alles wieder normal ist.
00:12:11: Eine Garantie gibt es leider nicht.
00:12:14: Aber die Pharmakologin Verena Gotta und die Onkologin Tamara Diesch
00:12:19: verstehen den Kummer von Salome S. sehr gut.
00:12:23: Genau darum setzen sie sich auch in der Forschung ein.
00:12:27: Um kurz- und langfristig die Chancen von Kindern wie Marie zu verbessern.
00:12:32: Es geht nicht darum, nur zu "überleben" in Anführungszeichen,
00:12:36: sondern darum, dass die Patientinnen und Patienten eine gute Lebensqualität haben.
00:12:41: Das ist eigentlich das Ziel.
00:12:44: Deshalb braucht es die sogenannte präzise Medizin.
00:12:47: [Musik]
00:13:01: Ein Podcast der Krebsforschung Schweiz.
00:13:05:
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